Biographie

  1. Jugend und musikalische Ausbildung
  2. Waghalter und das Deutsche Opernhaus
  3. Waghalters Opern
  4. Waghalter als Leiter der New Yorker State Symphony
  5. Rückkehr nach Deutschland und anschließendes Exil
  6. Waghalters Musik: Die Verteidigung des Melodizismus

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Jugend und musikalische Ausbildung

Ignatz Waghalter wurde am 15. März 1881 in Warschau geboren. Er war das fünfzehnte von zwanzig Kindern einer armen jüdischen Familie, die auf eine lange Musikertradition zurückblickte. Wie der Universal Jewish Encyclopedia zu entnehmen ist, war sein Urgroßvater Laibisch Waghalter (1790-1868) ein berühmter Geiger, der als „Paganini des Ostens“ galt. Beide Elternteile verdienten ihren Lebensunterhalt als Musiker. Ignatz’ ältester Bruder, Henryk, wurde einer der bedeutendsten Cellisten am Warschauer Konservatorium. Zwei weitere Brüder, Joseph und Wladyslaw, sollten ebenfalls geachtete Berufsmusiker werden.

Waghalters außergewöhnliche Begabung trat bereits in seiner Kindheit zutage. Bereits im Alter von sechs Jahren spielte er auf Musikveranstaltungen, im Zirkus und auf privaten Festen wohlhabender Familien des polnischen Adels und Bürgertums. Mit zunehmender Reife wurde Waghalter klar, dass er sich ohne formale Ausbildung nicht zu einem ernsthaften Musiker entwickeln konnte. Er beschloss, seine Heimat zu verlassen und nach Berlin zu gehen. Im Alter von 17 Jahren überquerte er heimlich und ohne Papiere die Grenze nach Deutschland.

Nach kurzer Lehrzeit bei dem Komponisten Philipp Scharwenka stellte sich der junge Waghalter dem großen Violinisten und Freund von Johannes Brahms, Joseph Joachim vor. Dieser setzte sich für seine Aufnahme in die Berliner Akademie der Künste ein. Dort studierte Waghalter bei Friedrich Gernsheim. Schon bald zeigte sich seine Begabung für die musikalische Komposition, insbesondere seine starke melodische Vorstellungskraft. Sein frühes Streichquartett in D-Dur wurde von Joachim hoch gelobt. Waghalters nächste größere Komposition, eine Sonate für Violine und Klavier, wurde mit dem Mendelssohn-Preis geehrt, der höchsten Auszeichnung, welche die Akademie der Künste zu vergeben hatte. In die Frühzeit seiner Musikerlaufbahn fallen des Weiteren ein Violinkonzert, eine Rhapsodie für Violine und Orchester, und eine Reihe von Liederzyklen. Die lyrische Ausdrucksstärke seines Notturno für Violoncello und Klavier beeindruckte Joachim derart, dass er Waghalter anriet, sich der Opernkomposition zu widmen.

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Waghalter und das Deutsche Opernhaus

Bevor Waghalter jedoch Zeit für solche Arbeiten fand, musste er für seinen Lebensunterhalt sorgen und die Ausbildung abschließen, die im Berlin der Jahrhundertwende von jungen, viel versprechenden Musikern erwartet wurde. Waghalter wandte sich also dem Dirigieren zu, wobei ihm die Unterweisung und das Vorbild des legendären Artur Nikisch zugute kamen. Schon bald hatte er sich als Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin einen Namen gemacht, eine Position, die er fünf Jahre lang ausfüllte. Nach einer kurzen Anstellung beim Stadttheater in Essen wurde er nach Berlin zurückberufen, um im Alter von nur 31 Jahren die Stellung des ersten Kapellmeisters am neu erbauten Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg anzutreten. Es eröffnete am 7. November 1912 mit einer Aufführung von Beethovens Fidelio unter der musikalischen Leitung Waghalters.

Den Gründern und Förderern des Deutschen Opernhauses in Berlin-Charlottenburg schwebte ein volksnaher, demokratischer Gegenentwurf zu der aristokratischen Staatsoper vor. Entscheidend für diese Konzeption war die Erarbeitung eines Repertoires, das ein weitaus breiter gefächertes Publikum anziehen konnte als die „bessere Gesellschaft“, die der Staatsoper seit jeher ihren Geschmack aufzwang. Dabei spielten die musikalischen Neigungen und Talente Waghalters eine entscheidende Rolle. Sein Sinn für Melodik hatte ihn auf einen für deutsche Komponisten ungewöhnlichen Weg geführt: hin zu Giacomo Puccini, dessen Opern Waghalter glühend bewunderte. Er war überzeugt, dass Puccinis Werke in Deutschland ein Publikum finden konnten, wenn dies auch bisher nicht gelungen war.

Der italienische Meister selbst beurteilte die Möglichkeit eines Durchbruchs in Deutschland skeptisch und gab nur zögernd, auf das Drängen des Intendanten des Deutschen Opernhauses Georg Hartmann hin, seine Zustimmung zu einer Premiere seiner jüngsten Oper, La Fanciulla del West (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) in Berlin. Hartmann übertrug Waghalter die musikalische Leitung. Puccini, der befürchtete, das Unterfangen werde in einem Debakel enden, reiste nach Deutschland, um den Proben beizuwohnen. Die Briefe, die er in den Tagen vor der Premiere in Berlin verfasste, lassen seine Anspannung deutlich erkennen. Doch die Erstaufführung im März 1913 geriet zu einem vollkommenen Triumph. Nach dem letzten Akt brach das Publikum des neuen Opernhauses in stürmische Ovationen aus. Zeitgenössischen Presseberichten zufolge erhielten Puccini und Waghalter, die gemeinsam auf der Bühne standen, nicht weniger als 70 Vorhänge.

Im Anschluss an die Vorstellung wurde ein aufwändiger Empfang zu Ehren des Komponisten gegeben. Nach dem Abendessen drängten die Gäste Puccini, Klavierfassungen seiner Opernthemen vorzuspielen. Doch den Komponisten ließ das Gedächtnis im Stich. Der weitere Verlauf wurde in „Musical America“ (12. April 1913) folgendermaßen geschildert: „Waghalter griff unaufdringlich den Faden wieder auf, den der Komponist verloren hatte, nahm dessen Platz am Klavier ein und spielte, spielte, spielte, wobei er zeitweilig die Gesangsstimme mitsummte. Puccini glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als Waghalter ihn aufforderte, ihm einen beliebigen Einsatz aus irgendeiner seiner Opern zu geben, er werde an jeder Stelle weiterspielen können. Man machte die Probe aufs Exempel, und Waghalter bestand sie mit Bravour.“

Erstaunt über den unerwarteten Erfolg stimmte Puccini auf der Stelle Hartmanns und Waghalters Vorschlag zu, seine Oper Manon Lescaut neu aufzuführen. Fünf Jahre zuvor, im 1908, war Manon Lescaut bei ihrer Premiere in Berlin auf der ganzen Linie durchgefallen. Waghalters Interpretation wurde jedoch mit solcher Begeisterung aufgenommen, dass sogar die Weltpresse aufhorchte. Die „New York Times“ schrieb: „Das alles beherrschende Ereignis der musikalischen Saison zu Beginn dieses Winters ist der wegweisende Triumph des jungen Dirigenten Ignatz Waghalter (Kapellmeister am Deutschen Opernhaus in Charlottenburg) mit Puccinis Manon Lescaut. Bei seiner ersten Aufführung in Berlin vor fünf Jahren war das Stück kläglich durchgefallen, doch nun wird es dank der brillanten Leistung des Orchesters unter Waghalters Leitung als Meisterwerk gefeiert, dem ein fester Platz im Repertoire der deutschen Opernwelt gewiss ist.“
Auch La Bohème und Tosca wurden unter der Leitung Waghalters am Deutschen Opernhaus uraufgeführt.

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Waghalters Opern

Mandragola

Im Jahr 1914 brachte das Deutsche Opernhaus Waghalters komische Oper Mandragola als Erstaufführung auf die Bühne, ein Lustspiel, das sich auf Machiavellis Vorlage aus der Renaissance stützt. Es erzählt die Geschichte eines alten Mannes, dem es nicht gelingen will, die Ehe mit seiner sehr hübschen jungen Frau zu vollziehen und einen Erben zu zeugen. Man macht ihn glauben, die Einnahme einer exotischen Wurzel (der Mandragola) könne das Problem lösen. Allerdings wendet sich der alte Mann zum Zwecke dieses Experiments an einen Arzt, der, wie sich herausstellt, in Wirklichkeit der glühende junge Liebhaber seiner Frau ist. Und so liegen am Ende der Oper die beiden Liebenden im Bett, während draußen vor der Tür der gehörnte Alte wohlgemut das Ergebnis der „Wunderheilung“ abwartet. Es war nicht ganz leicht, die Oper durch die Zensur des Kaisers zu schleusen, und sie wurde bei ihrer Premiere vom Berliner Publikum und der Kritik freundlich aufgenommen. Die tonangebende Musikzeitschrift „Signale“ veröffentlichte eine anerkennende und einfühlsame Würdigung:

„Man kann nun nicht mehr an dem Gedanken vorbei, dass wir in Waghalter den Mann haben, der uns ein ganzes Repertoire von jener Sorte feinerer komischer Opern schreiben könnte, die das Publikum so lange und so schmerzlich entbehrt hat. Und dazu scheint er vor anderen befähigt zu sein, weil er zwar in Deutscher Schule sich die gediegensten technischen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben, aber auf sein melodisches Gefühl auch andere Vorbilder hat wirken lassen. Dadurch, besonders durch italienischen Einfluss, hat er sich gegen die Dickblütigkeit und Eckigkeit des Rezitativischen geschützt, die aus den Arbeiten der deutschen ‘Meistersinger’-Nachahmer spricht. Manchmal deklamiert Waghalter geradezu falsch, aber er tut’s der melodischen Phrase zu Liebe, und Unheil richtet er damit nur bei den trockenen musikdramatischen Grammatikern an, die alles mit Zollstab nachmessen. Alle anderen aber freuen sich über die gewonnene Melodie.

Die musikalische Leichtblütigkeit allein würde es aber auch noch nicht tun, das Entscheidende ist, dass Waghalter wirklich echte melodische und rhythmische Einfälle hat. Und da er mit ihnen wirklich nicht knausert, scheint er sich auf einen großen Vorrat verlassen zu können.“

Jugend

Waghalters nächste Oper basierte auf einem ganz und gar deutschen Werk, dem gefeierten realistischen Theaterstück Jugend, das der bekannte Autor Max Halbe in den 1890er Jahren geschrieben hatte. Im Februar 1917 hatte das Werk am Deutschen Opernhaus Premiere. Es war ein großer Publikumserfolg. Während der nächsten drei Jahre wurde es mehr als vierzig Mal aufgeführt.

Zahlreiche Kritiker wiesen insbesondere auf Waghalters eindrucksvolle melodische Begabung hin. Der Kritiker der einflussreichen Musikzeitschrift „Die Tonkunst“ äußerte sich begeistert über Waghalters Fähigkeit, tiefe emotionale Wahrheiten melodisch zu vermitteln, und erklärte das Liebesduett, das den Höhepunkt der Jugend bildet, zu einem der großartigsten Momente der Oper, der sich durchaus mit Verdis Aida messen könne.

Doch gerade die von den Kritikern anerkannte außergewöhnliche Schönheit seiner Musik ließ Waghalter im Umfeld der atonalen Revolution, die sich in der deutschen Musik vollzog, geradezu suspekt, wenn nicht anachronistisch erscheinen.

Nicht nur der Wandel des Musikgeschmacks beeinflusste Waghalters Laufbahn. Auch das politische Klima schlug nach dem Krieg zunehmend ins Feindselige um. Waghalter war ein polnischer Jude, und diese Tatsache war für eine bekannte Musikerpersönlichkeit in Deutschland nicht ohne Belang. Obwohl er sich selbst als „Freidenker“ und Agnostiker bezeichnete, der weder die Synagoge besuchte noch die religiösen Feiertage beachtete, weigerte sich Waghalter im Gegensatz zu anderen bedeutenden Dirigenten wie Bruno Walter, Leo Blech und Otto Klemperer (um nur einige zu nennen), zum Christentum zu konvertieren. Er gehörte zu den wenigen bekannten Dirigenten jüdischer Abstammung in Deutschland und Österreich, die es damals ablehnten, dem ständigen Druck des Antisemitismus durch die Taufe zu entgehen.

Sataniel

Im Jahr 1923 wurde Waghalters Oper Sataniel uraufgeführt. Sie fiel bei den Kritikern durch, was Waghalter in seiner Autobiografie auf ihr polnisches Kolorit zurückführt, das angesichts des um sich greifenden Nationalismus auf Ablehnung stieß. Etwa zur selben Zeit löste der Bankrott des Opernhauses infolge der galoppierenden Inflation jener Tage eine durchgreifende Umorganisation aus. Der erzwungene Rücktritt des langjährigen Intendanten Georg Hartmann veränderte das politische Klima an der Oper von Grund auf. Doch ungeachtet der traurigen Umstände, unter denen Waghalter Abschied von seinem geliebten Deutschen Opernhaus nehmen musste, hatte er in seiner mehr als zehnjährigen Anstellung als Komponist und Dirigent Großes geleistet. In dem Abschnitt ihrer Website, der ihrer künstlerischen Geschichte gewidmet ist, zählt die Charlottenburger Oper heute die Erstaufführungen von Waghalters Mandragola, Jugend und Sataniel zu den „gewichtigeren Uraufführungen der ersten Periode“.

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Waghalter als Leiter der New Yorker State Symphony

Waghalter begab sich nach New York, wo er als Gastdirigent des New York State Symphony Orchestra auf der Stelle großen Erfolg hatte. Als der Chefdirigent und musikalische Direktor des Orchesters, Josef Stransky, im Jahr 1924 unerwartet zurücktrat, wurde Waghalter zu seinem Nachfolger berufen.

Wenn man den zeitgenössischen Zeitungsberichten glauben möchte, so etablierte sich Waghalter innerhalb kurzer Zeit als eine herausragende und anerkannte Persönlichkeit der New Yorker Musikszene. Die Kritiker hoben insbesondere seine ungewöhnliche Begabung als Dirigent hervor. Doch das Klima des Kunstbetriebs in den Vereinigten Staaten von Amerika behagte ihm nicht. Er verabscheute das „Geschäftemachertum“, das es in seinen Augen verkörperte.

In einem ausführlichen Interview mit dem „Musical Courier“ äußerte sich Waghalter, wie es seine Art war, ungeschminkt über das Fehlen jeder hinreichenden finanziellen Förderung der schönen Künste in den USA.

„Zunächst einmal erscheint es mir als eine ausgemachte Schande, dass nicht jede amerikanische Stadt über ein eigenes Symphonieorchester verfügt. Unvorstellbar, dass nicht einmal eine Stadt wie Washington ein Orchester hat! Unvorstellbar, dass nur wenige Städte eigene Opernbetriebe unterhalten! In Deutschland wäre so etwas nicht möglich…… den vielen hundert großen Künstlern, die jedes Jahr nach Amerika kommen, geht es in erster Linie um das Geld, das sie hier verdienen können. Man reist des Geschäfts, und nicht eigentlich künstlerischer Ziele wegen.“

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Rückkehr nach Deutschland und anschließendes Exil

Nach Abschluss seiner ersten Saison entschloss sich Waghalter zur Rückkehr nach Deutschland. Er wusste nicht, was den deutschen Juden bevorstand, und konnte daher die schicksalhaften Folgen dieser Entscheidung nicht abschätzen. Dreizehn Jahre später sollte er nach Amerika zurückkehren, aber diesmal als ein Flüchtling unter vielen.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Deutschland zählte Waghalter zu den Dirigenten, deren Arbeiten besonders häufig aufgezeichnet wurden, und ein großer Teil dieser Studioaufnahmen ist erhalten. Er komponierte mehrere Operetten, zum Beispiel Der späte Gast, Der Weiberkrieg, Bärbel und Lord Tommy. Hinzu kamen Auftritte als Gastdirigent in ganz Europa, die Waghalter bis in die Moskauer Bolschoi-Oper führten, wo er 1930 ein halbes Jahr lang als Gastdirigent wirkte. Von 1931 bis 1932 folgte er einem Ruf nach Lettland und wurde Generalmusikdirektor der Nationaloper in Riga. Waghalter war eng befreundet mit den Komponisten Eugen d’Albert, Paul Hindemith, dem jungen Kurt Weill und Franz Schreker, den Pianisten Joseph Hoffman und Leopold Godowsky, den Sängern Richard Tauber, Leo Slezak und Joseph Schmidt, dem Theaterregisseur Max Reinhardt, und einem gewissen Amateurgeiger namens Albert Einstein. Dieser war häufig zu Gast in Waghalters Wohnung in Charlottenburg, um an einer informellen Kammermusikgruppe teilzunehmen, die Waghalter vom Klavier aus dirigierte.

Der Machtantritt der Nationalsozialisten brachte Waghalter in eine unhaltbare Lage. Im Jahr 1934 flohen er und seine Frau in die Tschechoslowakei. Dort verfasste Waghalter eine Autobiographie, „Aus dem Ghetto in die Freiheit“. Sie schließt mit den Worten:

„Das Rätsel des Schicksals stellte die Juden ewig vor neue Kämpfe, um sie zu ermahnen …, seelisch und geistig zu stärken!

So betrete auch ich abermals fremde, mühsame Wege zum neuen, schwereren Existenzkampf. Wohin? … Vielleicht nach ‘Erez Israel’ … oder nach dem ewig jungen Nordamerika … Wo es auch immer sein sollte, überall möchte ich meiner Kunst und der Menschheit dienen, nach den Worten Moses: ‘Du bist herausgegangen, um deinen Brüdern zu dienen.’“

Von Prag aus reiste Waghalter schließlich weiter nach Wien. Dort komponierte er eine antifaschistische Oper mit dem Titel Ahasverus und Esther. Sie basiert auf der biblischen Geschichte, an die das Purimfest erinnert: Die jüdische Prinzessin Esther vereitelt den Plan Hamans, des geistlichen Oberhaupts bei Hofe, sämtliche Juden im Reich des Perserkönigs Ahasver zu töten. Waghalter gelang kurz nach dem Anschluss im März 1938 die Flucht aus Österreich.

Waghalter, der nun auf die 60 zuging, fiel es schwer, in den USA Fuß zu fassen. Er war einer von Hunderten hoch begabter europäischer Flüchtlinge, die unvermittelt aus ihrer bisherigen Umgebung, die ihr großes Talent zu würdigen wusste, herausgerissen wurden. Waghalter versuchte sich an der Gründung eines klassischen Orchesters aus afro-amerikanischen Musikern, scheiterte jedoch an dem gesellschaftlichen Klima, das einem solchen Projekt wenig zuträglich war.

Während seiner letzten Lebensjahre wurde es einsam um Waghalter. Unter den deutschen Emigranten genoss er allerdings hohes Ansehen. Im Jahr 1940 wurde Ahasverus und Esther in New York City im Radio ausgestrahlt. Aber es gab in Amerika zu wenige Orchester für die zahlreichen talentierten Dirigenten, die aus Nazi-Deutschland geflohen waren. Waghalter setzte seine kompositorische Arbeit fort, und im Sommer 1948 wurde sein letztes Werk, die Operette Ting-Ling, in dem bekannten Theater der Künstlerstadt Ogunquit im Bundesstaat Maine aufgeführt. Am 7. April 1949, im Alter von 68 Jahren, starb Waghalter in New York überraschend an einem Herzinfarkt. Die „New York Times“ widmete ihm einen ausführlichen Nachruf, und Hunderte europäische Flüchtlinge, die ihn als Dirigenten und Komponisten verehrten, wohnten seiner Bestattung bei. Der bekannte Rabbi Joachim Prinz, der Waghalter aus Berlin kannte, hielt eine bewegende Rede. Er zeigte auf den Sarg und fragte: „Sollte dieser Sarg wirklich alles enthalten, was einst Ignatz Waghalter war? Undenkbar.“ Doch im Laufe der Zeit geriet Waghalter weitgehend in Vergessenheit.

Einigen blieb er dennoch im Gedächtnis. Im Jahr 1981 beging die Deutsche Oper als Nachfolgerin des Deutschen Opernhauses mit einem Festakt seinen 100. Geburtstag. Eine im Jahr 1925 entstandene Büste Waghalters wurde der Ausstellung der übrigen wichtigen Dirigenten hinzugefügt, die im Laufe der Jahrzehnte das Orchester des Hauses geleitet hatten. Im April 1989 führte die Deutsche Oper Waghalters Jugend in einer Konzertfassung auf.

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Waghalters Musik: Die Verteidigung des Melodizismus

Dies waren nach Jahrzehnten des Vergessens die ersten Anzeichen für ein neu erwachendes Interesse an Waghalters Musik. Manches deutet darauf hin, dass sich das musikalische und geistige Klima zugunsten der Komponisten wandelt, die eine eher lyrische Sprache pflegten. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Komposition und Musikkritik Jahrzehnte lang eine anti-melodische Ästhetik vor, deren Hauptvertreter der einflussreiche deutsche Theoretiker Theodor Adorno war. Seine autoritative Schrift „Philosophie der neuen Musik“ (1949) verurteilte das Melodische als illegitim, banal und dem ernsten musikalischen Ausdruck nicht angemessen. Nur die Musik verdiene Beachtung, die der Illusion des Schönen abschwöre. Aufgabe der Musik und der Kunst überhaupt sei es, der völligen Hoffnungslosigkeit der Menschheit Ausdruck zu verleihen. Ziel der modernen Musik, so Adorno, müsse das absolute Vergessen sein. Sie sei die bleibende Botschaft der Verzweiflung der Gescheiterten.

Diese von Demoralisierung geprägte Ablehnung des Melodischen wird heute endlich kritisch hinterfragt. Doch die neuen, tastenden Bemühungen um seine Wiedergeburt stoßen auf große kulturelle und auch technische Hindernisse. Nach mehr als fünfzig Jahren der Verachtung und Vernachlässigung lassen sich die Kunst und Fähigkeit des melodischen Ausdrucks wesentlicher emotionaler Wahrheiten nicht ohne weiteres wieder beleben. Vor diesem Hintergrund gewinnt Waghalters Musik eine besondere Bedeutung. Die Schönheit seiner Kompositionen, die Kopf und Herz gleichermaßen in ihren Bann zieht, spricht den Zuhörer direkt an.

Waghalters musikalische Herkunft geht auf der einen Seite der polnisch-deutschen Grenze über seinen Mentor Joachim auf Brahms und Schumann zurück. Auf der anderen Seite dieser Grenze wurde Waghalters Musikerpersönlichkeit von dem Erbe Chopins, Dvoraks und, noch weiter nach Osten hin, Tschaikowskys geprägt. Darüber hinaus lassen insbesondere seine frühesten Werke den Einfluss jüdischer liturgischer Themen erkennen. Doch unabhängig von den Quellen seiner Inspiration besaß Ignatz Waghalter eine wahrhaft herausragende melodische Begabung. Er blieb seiner musikalischen Stimme treu und verlieh seinem Werk gerade dadurch künstlerische und emotionale Authentizität. Jahrzehnte lang mag es den Anschein gehabt haben, dass Waghalter der alten Schule des ausgesprochen Melodischen angehörte, die der aufgewühlten Welt, die aus der Asche und den Umwälzungen zweier Weltkriege hervorgegangen war, wenig zu sagen habe. Man kann sich kaum einen Musiker vorstellen, dessen Werk den Maximen Adornos so radikal widerspricht, wie Ignatz Waghalter. Allein dies ist ein Grund, Waghalter neu zu würdigen als Vertreter einer musikalischen Ästhetik, die allzu lange verloren gegangen war.

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